Guten Morgen nach Deutschland,
die letzten fünf Monate habe ich einige Einblicke in die Arbeit hier vor Ort bekommen und möchte meine Eindrücke gerne mit euch teilen. Es handelt sich um kritische Worte – bitte verallgemeinert sie nicht, denn es sind sehr subjektive Erfahrungen meinerseits. Teilt mir gerne mit, wie ihr die Thematik sehr, ich freue mich darüber!
Wenn mir im Büro gesagt wird, wir hätten diese Woche nichts zu tun, weil wir auf Geld aus Deutschland warten müssen und wir machen deshalb frei, dann frage ich mich, ob das der Sinn ist von Spenden in „Entwicklungs- bzw. Schwellenländer“ ist. Und wenn ich sehe, was dann mit den Geldern geschieht, erst recht. In einem Podcast habe ich kürzlich gehört, dass in den Jahren seit dem Ende des Kolonialismus insgesamt zwei Billionen Euro in die ehemals betroffenen Länder geflossen sind und „verpufft“ sind, also rein gar nichts bewirkt hätten – im Gegenteil. Teilweise scheint es, als würden sich Länder auf den Zahlungen aus dem Westen ausruhen und als hätten sie dadurch keine Anreize, „selbst etwas auf die Beine zu stellen“. Denn das Geld kommt ja nur, wenn es auch benötigt wird und wenn die Entwicklung von sich aus vorangehen würde, würden die Entwicklungshilfezahlungen ja gekürzt werden.
Ich weiß nicht, ob das jetzt sehr verallgemeinernd rüber kommt und ich will auch niemandem persönlich auf die Füße treten, aber wenn ich die Arbeit im Büro hier sehe, dann frage ich mich auch, wieso spenden wir, wenn „die Mitarbeiter hier eine ruhige Kugel schieben und sich mit dem Geld was dann kommt eine schöne Zeit in Restaurants machen“? In meinem Beitrag „Wir geben ein Training“ ist ja schon durchgeklungen, wie problematisch ich die Arbeit, bzw. das „Drum herum“ sehe. Und, dass man aus meiner Perspektive zum Beispiel locker die Hälfte an Ausgaben für ein Projekt sparen könnte, wenn sich die Mitarbeiter einfach „ne Stulle“ mitschmieren würden und vor Ort das Programm durch die wegfallende Essenszeit komprimieren würde.
Ich will mich natürlich nicht nur negativ über die Arbeit hier vor Ort auslassen, denn die Arbeitsmoral in Deutschland ist nicht vergleichbar mit der hier vor Ort, aber die Problematik wird, denke ich, deutlich.
Außerdem frage ich mich, wie nachhaltig die Projekte sind, die mit der dann direkt ankommenden Entwicklungshilfe (also mit Abzug der Mitarbeiterlöhne) vorangetrieben werden. Da werden Trinkwasserfilter verteilt, also das Geld eingesetzt, damit es Menschen in ländlichen und ärmeren Regionen erleichtert wird, an Trinkwasser zu kommen, aber von welcher Dauer? Was passiert, wenn die Filter kaputt gehen, oder nach ein paar Jahren nicht mehr brauchbar sind? Dann wird doch wieder genauso Wasser abgekocht wie es jetzt der Fall ist und niemand wird sich nach ein paar Wochen noch an die Filter erinnern, oder wenn doch, halt denken, ja, das war irgendwie praktisch, aber sonst nichts.
Natürlich muss irgendwo klein angefangen werden und die Lebenssituation der Menschen wird durch die Filter ja auch kurzfristig verbessert, aber wie man das ganze nachhaltiger gestalten könnte, weiß ich auch nicht. Denn es ändert sich ja durch den kurzfristigen Eingriff häufig nichts im Kopf der Menschen, ist mein Eindruck. Das kann ich selbstverständlich nicht umfassend beurteilen, aber meine Beobachtung ist, dass die Menschen die „Geschenke“ gerne annehmen, aber sich nicht tiefgreifender mit den Thematiken die dahinterstecken, auseinandersetzen. Also, wie sinnvoll ist Entwicklungshilfe?
Neben den Geldtransfers gibt es die Entwicklungshelfer und -helferinnen. Auch ihre Rolle, die Rolle von „Weißen“ hier vor Ort, begegnet mir problematisch. Mir kommt es häufig so vor, als würden die Menschen die Hilfe und gutgemeinten Verbesserungsvorschläge nicht annehmen wollen. Das verstehe ich natürlich irgendwie, denn umgekehrt fände ich es auch komisch und würde mich ziemlich veräppelt fühlen, wenn jemand schwarzes mir in Deutschland sagen würde, wie ich was zu machen hätte. Aber dann dürfte ich auch nicht gleichzeitig auf Geld warten, aber Hinweise, wie das Geld sinnvoller genutzt werden könnte, ablehnen. Um das Problem zu verdeutlichen, möchte ich zwei konkrete Beispiele aus meinem Alltag erläutern.
Wie Ihr vielleicht schon in anderen Blogeinträgen gelesen habt, arbeitet bei RDIS ein Advisor der VEM, Richard, also ein Mitarbeiter, dessen Aufgabe es ist, Hinweise zu geben, wie die Arbeit verbessert werden kann. Nach dem Weihnachtsmarkt, bei dem Richard und ich unter anderem unsere Wasserfilter ausgestellt haben und begeisterten Menschen erklärt haben, wie sie funktionieren und was wir damit machen, sind uns Dinge aufgefallen, die in der Vermarktung der Filter besser gemacht werden könnten. Denn hier ist es wie in der benachbarten Saftfabrik, die ebenfalls Teil der Diözese ist, die Absatzzahlen sind zu gering und die Produktionsmöglichkeiten nicht ausgelastet. Richard und ich haben uns einiges einfallen lassen, welche Möglichkeiten die Juicefactory und die Frauen, die die Wasserfilter herstellen, haben, um die Verkaufszahlen zu verbessern und ein „big business“ zu entwickeln, wie es Richard zu sagen pflegt. Wir haben ein Meeting anberaumt, zu dem wir die entsprechenden Verantwortlichen eingeladen haben – es kommt niemand. Dabei haben alle zugesagt und den Termin für passend erklärt und wir haben ausdrücklich gesagt, dass wir nur ein bisschen über die Weiterentwicklung quatschen wollen und keinesfalls etwas oder jemanden kritisieren wollen. Natürlich kann es mal passieren, dass man mal zu einem Treffen nicht hingeht. Und ich kann auch nicht beurteilen, ob das nur ein einmaliger Fauxpas war. Aber ich fand diese Situation als Sinnbild geeignet, um deutlich zu machen, dass die Menschen kein Interesse, oder vielleicht auch Angst vor einer Weiterentwicklung haben und die Entwicklungshilfe somit auf keinen fruchtbaren Boden stößt.
Soviel zur Situation unter den „Geschäftemacherinnen und -machern“. Ähnliches habe ich bei Bauern auf den Feldern erlebt. Marianne möchte die Felder auf einem Bauernhof rekonstruieren, um den Menschen in der Region langfristig ein höheres Einkommen zu ermöglichen. Denn mit „dem Üblichen“, sprich Gemüse und kohlenhydratreiche Sättigungsbeilagen, reicht es für viele nicht mal für das Nötigste. Folglich haben wir uns Gedanken über Pflanzen gemacht, die bisher eine Marktlücke darstellen und für die eine entsprechende Nachfrage vorhanden wäre. So haben wir Anfang Dezember begonnen, die erste Samen zu säen um zu schauen, ob die Pflanzen mit den Bedingungen wie Klima und Bodenbeschaffenheit wirklich so zurechtkommen, wie wir es uns angelesen haben, bevor im nächsten Oktober dann in größerem Maße gepflanzt werden soll. Für den Beginn haben wir Bauern zur Verfügung gestellt bekommen, die die Felder umgruben und die Samen einpflanzten. Bei der Lohnverhandlung vorab kam es jedoch zu Problemen, die mich wirklich wütend machen. Ich will und kann nicht abstreiten, dass Marianne und ich durch unsere Herkunft mehr Geld haben als die Bauern. Aber trotzdem finde ich es unfair, wenn die Bauern das doppelte an Lohn verlangen, als was sie sonst für die Arbeit bekommen. Ich verstehe das. Man kann natürlich erstmal versuchen mehr Geld zu bekommen, würde ich vielleicht nicht anders machen. Das Problem hierbei ist ja aber, dass das Geld nicht von uns kommt, sondern von der Kirche und, dass die erbrachte Leistung keine Tat für uns, sondern für sie selbst ist, damit sie in ein oder zwei Jahren ein sorgenfreieres Leben führen können, als es jetzt, aufgrund von Geldmangels, der Fall ist. Mit der kolonialen Vorgeschichte ist es vermutlich kein Wunder, wenn die Bauern erstmal skeptisch sind und so einfach lässt sich die Thematik auch nicht runterbrechen. Aber mir kommt es so vor, als würden sie gar keine Veränderung ihrer Situation wollen, als würden sie keine Lust haben, irgendetwas zu verändern. Sie scheinen nicht bereit dazu, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen und etwas neues „zu wagen“. Sie verlangen das Geld, sind aber nicht bereit ihr Handeln nachhaltig umzustellen.
Das sind meine Erfahrungen, die ich hier gerade zur Thematik „Entwicklungshilfe“ mache und die können natürlich von Ort zu Ort und Unternehmen zu Unternehmen variieren. Und es ist natürlich auch nicht alles schlecht. Aber im Moment sehe ich sowieso viel durch eine sehr skeptische und kritische Brille, da ich mich nicht besonders wohl fühle bei der Arbeit bei RDIS. Daher tut es mir leid, wenn die vorangegangenen Ausführungen zu negativ wirken, sie spiegeln, schätze ich, auch gerade meine emotionale Situation wider. Vielleicht konnte ich Euch ja trotzdem ein bisschen zum Nachdenken anregen. Ich würde mich sehr freuen, mit euch über Entwicklungshilfe, und die damit verbundenen Problematiken, in Diskussion zu kommen.
Jetzt verabschiede ich mich erstmal nach Tansania, wo ich ein bisschen Urlaub machen und mit anderen Freiwilligen das Zwischenseminar besuchen werde. Ich bin wahnsinnig gespnnt auf das Land.
Macht es gut und freut euch auf die Urlaubsberichte 🙂
Eure Hannah
3 Responses
Liebe Hannah, herzlichen Dank für den ungeschminkten Erfahrungsbericht. Es scheint, als wären mittel- oder gar langfristige Ziele nicht zur Motivation geeignet. Viel Spaß in Tansania!
Hallo liebe Hannah,
Deine Oma hat mir gerade die Linkadresse von einem Blog gegeben, toll!
In den nächsten Tagen werde ich alles lesen, habe jetzt wenig Zeit.
Darum ganz liebe Grüße aus dem kalten stürmischen Moordeich zu Dir nach Tansania, toi toi toi.
Christa Hopfgarten
Liebe Hannah, herzlichen Dank für Deinen wieder mal spannenden Stimmungsbericht! Bestimmt schaffe ich es dann in den kommenden Tagen auch endlich mal, mich auf Deine letzte Mail zu melden… *hörbarräusper*… Jedenfalls wünsche ich Dir viel Spaß und alles Gute in Tansania, gaaaanz viele, liebe Grüße aus Norddeutschland sendet Dir Jogi 🤓👋