Gedanken zu meiner Selbstständigkeit

Ein Thema, was mich seit meinem Ankommen beschäftigt, ist die Selbstständigkeit. Die hat sich verändert, in vielerlei Hinsicht. Daher möchte in diesem Eintrag darüber schreiben, wie ich selbstständiger geworden bin und gleichzeitig sehr viel meines autonomen Daseins einbüßen musste.

In welchen Zusammenhängen ich selbstständiger bin

Was den Haushalt und das Leben allein, in einer eigenen Wohnung anbetrifft, habe ich mich in den letzten drei Monaten weiterentwickelt. Nicht nur, dass ich selbst alles waschen und putzen muss (was mir aber wirklich Spaß macht und eine gute Abwechslung ist), ich muss auch selbst entscheiden, wann ich was essen möchte und dafür einkaufen. Ich sehe das mehr als Hobby und nicht als Schwierigkeit. Trotzdem ist es eine Umgewöhnung, auf einmal auf komplett eigenen Beinen zu stehen und niemanden mehr zu haben, der für einen mit einkaufen geht oder den Müll rausbringt.

Auch was andere Entscheidungen anbetrifft (bspw. die Wochenendgestaltung), habe ich größtenteils niemanden, der mich beeinflusst. Während ich in den letzten Jahren zwar auch schon immer viel selbst entschieden habe, was ich wann machen möchte, war da immer noch jemand, dem ich das mitgeteilt habe und der meine Entscheidungen beeinflusst hat und hin und wieder die Führung übernommen hat. Das ist hier nicht der Fall. Ich muss entscheiden, wann ich einen Ausflug mache, ob ich Fußball schauen will oder zur Chorprobe gehe. Zuhause habe ich solche Sachen weniger in Frage gestellt, da sie einfach dazugehört haben. Hier bin ich jedoch allein und trage auch die Konsequenzen meines Handelns erstmal allein.

In einigen Situationen bin ich jedoch sehr froh über den Kontakt nach Hause. Oft tut es mir gut, Angehörigen mitzuteilen, wann ich was vorhabe, um mir eine Struktur zu geben. Hin und wieder frage ich: „Mama, was ist besser – soll ich das und das machen, oder lieber nicht?“ Da sind Kommentare hilfreich und ich bin froh, nicht 100% auf mich allein gestellt zu sein.

In welchen Zusammenhängen ich gerne selbstständiger wäre

In anderen Situationen wünsche ich mir, dass ich selbstständiger wäre. Es kostet mich häufig wahnsinnige Überwindung, Eigeninitiative zu zeigen und von mir aus auf Menschen zuzugehen. Neulich fragte mich meine Nachbarin, warum ich nie vorbei kommen würde. Ich weiß, dass es in Ruanda üblich ist, unangemeldet bei Bekannten vorbei zu schneien und ein Pläuschchen zu halten – das will aber noch nicht so ganz in meinen Kopf rein. Es fällt mir schwer, in solchen Momenten von mir aus, die Initiative zu ergreifen und selbstständig, alleine, von meiner Seite aus, Kontakte zu knüpfen.

Bisher gab es in meinem Leben immer Menschen, die mich dazu gebracht haben, automatisch mit anderen in Kontakt zu kommen. Häufig sind meine Freundinnen und Freunde, die Freunde von Freunden oder Familie. Oder ich war zusammen mit meiner Schwester oder Freundin im Urlaub, wo wir zusammen neue Menschen kennengelernt haben. Auf Langeoog, wo ich mehrmals Praktika absolviert habe, kamen die Kontakte durch das Arbeiten im Team mit Gleichaltrigen, ganz automatisch. Auch dort war es in den ersten Tagen ein wenig schwierig, aber durch die gleichen, kulturellen Grundansichten und das Kennen von Langeoog zum Beispiel, hatte man sofort eine Verbindung.

Hier ist das ganz anders. Ich bin komplett allein – die einzig Weiße weit und breit und muss das vielleicht erste Mal in meinem Leben, über meinen Schatten springen, und Menschen, mit denen ich zunächst nicht viel gemeinsam habe, alleine kennenlernen. Das ist eine Herausforderung, die ich im Vorfeld ziemlich unterschätzt habe. Mittlerweile bin ich größtenteils dankbar dafür, dass ich bereits ein, zwei Menschen habe, die mich von sich aus einladen und mit denen ich so etwas zusammen machen kann, ohne dass ich mich „aufdränge“. Dadurch lerne ich automatisch weitere Personen kennen, wenn mich Noella zum Beispiel mitnimmt, zu einer anderen Freundin, die ich so kennenlernen kann.

In welchen Zusammenhängen ich Teile meiner Selbstständigkeit abgeben musste

In vielen Situationen bin ich, seit ich hier bin, jedoch auf andere angewiesen. In Deutschland habe ich in achtzehn Jahre gelernt „selbst zu stehen“ – hier brauche ich auf einmal wieder Unterstützung von allen Seiten. Das ist gar nicht so einfach mir einzugestehen, dass ich die ein oder andere Sache nicht mehr wie gewohnt alleine machen kann. Am Anfang hatte ich damit viel zu kämpfen. Ich brauchte eine Simkarte, Trinkwasser, eine Gasflasche zum kochen, musste Gemüse kaufen, lernen den Bus zu nehmen – aber wie und wo, stellte sich mir die Frage.

Ziemlich verloren musste ich in den ersten Tagen darauf warten, dass jemand die Zeit fand, mit mir loszugehen. Meine Nachbarin zeigte mir schließlich den Laden, wo ich Wasser kaufen kann und eine Kollegin nahm mich mit in die Stadt. Jedoch erklärten sie mir nicht, was ich bspw. sagen muss, um nach Muhanga gebracht zu werden oder um einem Fahrradtaxifahrer mitzuteilen, dass er mir bitte das Wasser nach Hause bringen solle. Und so musste ich mich in verschiedensten Situationen darauf verlassen, dass meine Mitmenschen hier, Sachen für mich besorgten. Ich konnte es einfach nicht und mir diese Hilflosigkeit einzugestehen, war kein angenehmes Gefühl.

In Deutschland war ich, für mein Alter würde ich sagen, schon recht viel allein unterwegs. Mal mit dem Zug nach München oder mit dem Nachtzug aus Stuttgart zurück – alles kein Problem. Im Gegenteil! Ich habe es geliebt, für mich selbst zu entscheiden, wann ich wo bin. Aber wie bewege ich mich hier in Ruanda am Besten von einem Ort zum anderen? Ich kann nicht mal eben im Internet ein Ticket buchen und dann gehe ich zum Bahnhof und nehme pünktlich den Zug. Ich muss fragen – wie mache ich das mit dem Bus fahren? Du kaufst dir einfach ein Ticket und steigst in den Bus, lautete die Antwort. Das klang für mich anfangs so kompliziert, dass ich mir meine Mitfreiwillige schnappte und sie mir zeigte, wo genau ich das Ticket kaufe und wie ich den richtigen Bus finde. In Deutschland war ich immer eher in der Rolle, die den Freundinnen die Zugfahrt mitorganisiert hat – hier muss ich mich auf einmal auf andere verlassen und das fiel mir besonders in den ersten Wochen nicht leicht.

Diese Hilflosigkeit war zu Beginn beängstigend und in manchen Momenten habe ich immer noch einen Heidenrespekt vor eigentlich alltäglichen Dingen. Aber gerade diese Übertritte meiner bisherigen Grenzen, hoffe ich, werden mir im weiteren Leben enorm helfen.

Was ebenfalls ein wenig befremdlich ist, ist, dass die Menschen, mit denen ich hier unterwegs bin, häufig für mich entscheiden was wir machen und wann wir zum Beispiel etwas essen. Das überrumpelt mich häufig, wenn ich zum Beispiel sage, dass ich jetzt nach Hause gehen will und dann gesagt wird, äh nein, wir gehen vorher noch was essen. Das ist lieb gemeint und ich bin ja auch angewiesen darauf, dass mir vieles gezeigt wird. Dennoch ist es ungewohnt, in solchen Momenten fast ein wenig bevormundet zu werden. Ist nicht schlimm, denn meistens bin ich im Nachhinein auch dankbar für das, was ich dann kennenlerne. Denn es lässt sich schlecht planen, neue Dinge kennenzulernen – gerade in einem etwas spontaneren Land, wie Ruanda. Und vielleicht ist es auch mal gut für mich, dass ich merke, dass nicht immer alles nach meiner Meinung laufen kann, da ich in den letzten Jahren ziemlich viel Macht hatte über das, was ich gemacht habe.

Es ist spannend zu sehen, wie sich bestimmt Dinge entwickeln und wie ich mich, psychologisch gesehen in den verschiedensten Situationen fühle und verhalte.

Ich hoffe, dass ihr euch über einen etwas grundsätzlicheren Beitrag gefreut habt, der mal nichts mit einem bestimmten Event zu tun hatte.

Habt alle einen wunderbaren Start in die Adventszeit 😊

Bis demnächst,

Eure Hannah

3 Responses

  • Marion Hempel

    Liebe Hannah, es ist interessant zu lesen, wie es ist, in einem so fremden Land zurecht zu kommen und sehr mutig von Dir dieses Abenteuer eingegangen zu sein. Andere Länder – andere Sitten, das sagt sich so leicht. Wo die Herausforderungen liegen sieht man erst in der Praxis und wie Du schon sagst, ja Du lernst für Dein Leben. Manche spätere Herausforderung wirst Du dann belächeln.
    Schlau schnacken kann ich – Für einen längeren Auslandsaufenthalt war ich zu feige…
    Ich wünsche Dir einen schönen 1.Advent! (Wie sich ein Weihnachtsmarkt im Hochsommer anfühlt, hast Du ja beschrieben)
    Alles Liebe
    Marion

    Antworten
    • Hannah

      Was heißt schon feige, liebe Marion! Es hat sich vielleicht bei dir vielleicht einfach nicht ergeben und ich habe jetzt mehr oder weniger zufällig diese Möglichkeit bekommen. Ich bin aber auch schon sehr gespannt, wie ich in den nächsten Jahren dann über dieses Jahr denken werde.
      Ich wünsche dir auch eine frohe und besinnliche Adventszeit und freue mich schon total aufs nächste Jahr wieder in Deutschland. Weihnachtsstimmung kommt hier irgendwie nur durch den Kontakt nach Hause auf 🙂
      Alles Liebe aus Ruanda,
      Hannah

      Antworten
  • Liebe Hannah, deine Mama war so lieb mir den Link auf deinen Blogg zu geben.
    Mit großem Interesse habe ich die Berichte über deine bisherige Zeit in Ruanda gelesen.
    Mir war garnicht klar, dass du für ein ganzes Jahr dort bleibst.
    Friederike war damals nur für 4 Monate in einem Kinderheim in Ghana und das kam mir
    schon wie eine Ewigkeit vor. Auf jeden Fall wird dieser lange Aufenthalt in einem fremden
    Land, vollkommen allein auf sich gestellt, am Ende so viel für deine persönliche Entwicklung bringen.
    Für eine eventuelle Studienzeit bist du danach auf jeden Fall bestens gewappnet, was kochen, putzen,
    einkaufen usw. angeht. Bei uns auf dem Hof ist seit Ende Oktober endlich Ruhe eingekehrt.
    Ich freu mich dann auch auf die Zeit, wo man nicht ständig Konversation mit den Gästen halten muss.
    Unser kleiner Tarzan wurde in diesem Sommer auch zum Pony führen eingesetzt. Nicht so ganz freiwillig
    für ihn. Da die beiden großen Pferde Scotch und Chicci den Eltern zu groß für ihre kleinen Kinder erschien, musste dann
    Tarzan ran. Die Mädchen vom Nachbarhof holen ihn zweimal die Woche rüber in die Reithalle.
    Gestern hat er es leider wieder geschafft, dass ein Kind runtergefallen ist. Ist aber Gott sei dank nichts weiter passiert.
    Übrigens wurdest du in diesem Sommer ganz doll von den Kindern unserer Stammgäste vermisst.
    Immer wieder wurde ich gefragt, kommt Hannah nicht mehr zum Pony führen?
    War schon eine schöne Zeit, als du bei uns warst. Ich wünsche dir von Herzen, auch wenn es bestimmt nicht immer einfach ist, eine wunderschöne Zeit mit tollen Erlebnissen und Begegnungen.

    Liebe Grüße und ein schönes Weihnachtsfest in der Ferne!
    Renate

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