Hinter dem Vorhang

Wie ist es in einem Umfeld zu arbeiten von dem die Außenwelt nur das schlechteste
denkt.
Gleich nach meiner Ankunft in Kapstadt ist mir bewusst geworden, wo ich arbeite.
Die Regeln, die uns an unserem ersten Arbeitstag (dritter Tag in Südafrika) erklärt
wurden, haben unmissverständlich klargemacht, wie gefährlich Südafrika ist.
Unsere Regeln waren grob zusammengefasst nicht zu fuß unterwegs zu sein. Wir
sollten uns eigentlich nur mit unserem Auto fortbewegen, das wir uns zu viert teilten.
Wir sollten nicht außerhalb der Arbeitszeiten in Lavender Hill unterwegs sein, und auf
keinem Fall, wenn es dunkel ist. Wir durften auch nicht in Lavender Hill rumlaufen,
höchstens nur mit einem lokalen Begleiter, aber auch erst, wenn wir uns auskennen.
Im Dunkeln sollten wir viele Straßen und Orte vermeiden und zum Beispiel unsere
Tür auch immer nachdem wir reingegangen sind hinter uns abschließen.
Kurz gesagt waren das am Anfang ziemlich viele Regeln, die ich beachten musste.
Als unsere Kollegen in New World Foundation von den Schießereien, die man hört
und manchmal auch sieht erzählt haben und man nach einer Zeit immer tiefere
Einblicke in diesen Ort und damit auch die verbundene Armut bekommen hat, war es
schon interessant dort zu arbeiten.
Außenstehende Südafrikaner haben immer schockiert reagiert, wenn ich ihnen
erzählt habe, wo und was ich arbeite. Man hat oft Sätze gehört wie „Warum dort?
Willst du erschossen werden? Großen Respekt, ich hätte richtig Angst vor diesen
Leuten? Die Leute, die dort leben sind doch alle verrückt? Wie hälst du es da aus?
Oder Warum gehst du aus Deutschland in so eine Umgebung?“ Solche Kommentare
verändern deine Blickwiese.
Durch diese krassen Reaktionen und auch durch die vielen Regeln, wurde mir am
Anfang echt das Bild gemalt, dass Südafrika super gefährlich ist und es vielleicht
doch keine so gute Idee war dort hinzugehen.
Und es stimmt, Südafrika und gerade Kapstadt ist super gefährlich, egal ob im Auto,
zu fuß oder zu Hause. Man hört viele Geschichten von Überfällen im Auto oder
Messerattacken bei einem Spaziergang. Aber auch wenn die Südafrikaner sich oft
selbst runtermachen, ist hinter dieser Gefährlichkeit noch viel mehr.
Ich kann jetzt nur von einem Einblick reden, ich habe nämlich in einer Colored
Community gearbeitet, die haben eine ganz eigene Kultur als zum Beispiel die
Schwarzen und auch die Weißen. Unter den Schwarzen gibt es aber auch ganz
verschiedene Kulturen, die alle in Südafrika aufeinandertreffen.
In Lavender Hill war es gefährlich. Ich konnte Straßen Shootings beobachten, habe
eine Pistolenkugel in der Hand halten können, habe viel Armut und viel Gewalt
miterlebt. Doch trotzdem denke ich nicht mit Angst zurück an diesen Ort, sondern mit
Freuden, denn hinter dem Vorhang von Gangrivalität und Armut ist noch viel mehr
als nur verrückte Menschen.
Ich konnte mich mit deren Kultur nicht 100% anfreunden, ich hatte bis zum Ende hin
Schwierigkeiten, die Kultur so anzunehmen, wie sie ist und mich dort einzuleben.
Trotzdem habe ich sie lieben gelernt. Ich habe gelernt, was es heißt zu teilen.
In Lavender Hill teilt jeder mit jedem. Wenn jemand eine Chipstüte aufmacht, wird sie
komplett rumgereicht und ob du willst oder nicht, du musst welche nehmen. Wenn
jemand zum Tuck Shop geht (ein Kiosk, wo man für wenig Geld Chips und Süßigkeiten kaufen kann) wird immer mehr gekauft, als man selbst isst, um es im
Büro aufzuteilen.
Ich hatte anfangs keine Probleme mit dem Fakt, dass sie teilten, das war ich von zu
Hause auch gewöhnt. Aber wie sie geteilt haben, hat mich echt überrascht, denn
alles und für jeden, auch von denen die nichts haben, wird gerecht aufgeteilt. Eine
Kollegin von mir hat sich mit ihrer Familie (2 Kinder und ihr Mann) ein Zimmer geteilt
und eines morgens fragt sie mich, ob ich Lebensmittel und Sanitäre Produkte ihrer
Kirche spenden kann, da sie für Leute „die nichts haben“ Spenden sammeln. Ich
fand das so faszinierend, dass sie für Menschen, die nichts haben einkaufen geht,
obwohl sie mit dem Geld, was sie und ihr Mann verdient haben, nicht bis ans Ende
des Monats hinkommen. Diese Art von teilen und sich gegenseitig zu helfen, obwohl
sie nicht die Mittel dafür haben, finde ich echt krass.
Ein anderer Punkt ist die Gemeinschaft. Lavender Hill ist vergleichbar mit einem Dorf
in Deutschland auf dem Land, jeder kennt jeden. Jeder kennt seine Nachbarn aus
dem Court (Dreistöckige Wohnblöcke mit 2-3 Zimmerwohnungen gegenüber
ausgerichtet). Man könnte denken es ist eine ganz normale Nachbarschaft, wie ich
sie auch bei uns in der Gated Community genossen habe. Aber diese
Nachbarschaften gehen viel tiefer. Es sind Gemeinschaften. Gemeinschaften, die
sich gegenseitig helfen, unter die Arme greifen und in schweren Zeiten (Gang-Wars)
stützen. Diese Gemeinschaften machen Lavender Hill, zu dem was es ist. Ein Ort,
der von außen betrachtet nicht verlorener sein könnte, aber für die Bewohner ist er
für viele ein zu Hause geworden. Abends geht man von Wohnung zu Wohnung, um
mal vorbei zu schauen, braucht jemand eine helfende Hand ist sofort jemand zur
Stelle und wenn man gerne kocht und backt, kann man es einfach an seine
Nachbarn verkaufen.
Dies sind jetzt nur zwei Beispiele, aber ich finde sie machen sehr gut deutlich, wie
bewundernswert und stark die Menschen sind, die ich kennenlernen durfte. Die
Leute, zu denen ich heute am meisten aufsehe, habe ich dort getroffen. Ex-
Gangster, Misshandelte Frauen, Familien die durch die Apartheid vertrieben wurden
und auch Drogenabhängige.
Würde ich noch einmal vor der Entscheidung stehen, ob ich nach Lavender Hill gehe,
würde ich JA sagen. Meine 8 Monate waren nicht immer leicht und ich bin auch nicht
mit Freundschaften fürs Leben zurückgekehrt, aber ich kann doch mit einem Lächeln
zurückdenken und „danke“ sagen.

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