Ja, es war komisch und ja, ich hatte Heimweh! Weihnachten ohne die gewohnte Umgebung – Vorbereitungen in unserer gemütlichen Wohnung, Krippenspiel und Christvesper im Schafstall, gemeinsam mit meinen Großeltern essen, musizieren und quatschen und abschließend die Christnacht – ist für mich einfach kein richtiges Weihnachten. Es fühlt sich an, als sei Weihnachten dieses Jahr für mich ausgefallen, auch wenn ich versucht habe, es mir möglichste schön zu machen.
Heiligabend
Im Vorfeld des Festes hatte ich bereits geplant, Heiligabend in meiner Wohnung zu verbringen und am 25.12. den Weihnachtsgottesdienst zu besuchen. Am 24. war auch keine Choraktivität geplant, von denen es im Moment viele gibt, da wir uns auf ein großes Konzert vorbereiten, sodass ich mich vormittags entspannt „einstimmen“ konnte. Nach ein paar Besorgungen habe ich begonnen, mir ein kleines, gemütliches Reich zu gestalten und habe nicht nur die kleinen Geschenke meiner Familie aufgebaut, sondern auch weihnachtliche Snacks zubereitet. Gebrannte Erdnüsse, Schokokekse und Spekulatius, die ich bereits vor ein paar Wochen in Kigali gekauft hatte – so habe ich versucht, mein Zimmer ein bisschen weihnachtlich zu gestalten. Aus Deutschland mitgebrachter Tee und Kerzen taten ihr übriges und so ging der Tag erstaunlich schnell rum.
Pünktlich zum Sonnenuntergang um 18.00 Uhr, habe ich Weihnachtsmusik angemacht und Bescherung gemacht – dabei floss das ein oder andere Tränchen. Als ich dann mit dem ersten Weihnachtsfilm begann, waren die aber schnell vergessen. Zwischendurch telefonierte mit meiner Familie und saß quasi mit am Weihnachtsbaum. Nach einem weiteren Film war es hier fast Mitternacht, in Deutschland 23.00 Uhr und unsere Christnacht begann – Mama konnte ihr Handy in der Kirche so platzieren, dass ich von hier aus, per WhatsApp Videoanruf, live dabei sein konnte. Da kam auch endlich bei mir ein bisschen weihnachtliche Stimmung auf und ich schlief danach mit einem Lächeln im Gesicht ein.
Der 25. Dezember
Nach fünf Stunden Schlaf klingelte mein Wecker – denn mir wurde gesagt, ich solle um 7.00 Uhr in der Kirche zum Weihnachtsgottesdienst sein. Die anglikanische Kirche ist ja englisch geprägt und entsprechend wird hier am 25. gefeiert. Ich ging also pünktlich los … und war – Überraschung – mal wieder die erste. Mehr oder weniger gut gelaunt setzte ich mich und nach und nach kamen tatsächlich ein paar Leute herein und auch die Pastorin war anwesend. Ein Gottesdienst war es jedoch nicht, ich war sehr verwirrt. Im Nachhinein erklärte mir meine Mutter, dass es sich dabei wohl um eine Beichte vor dem Abendmahl gehandelt habe, denn es war leider noch niemand da, den ich kannte und hätte fragen wollen. Gegen 8.30 Uhr kamen die anderen Jugendchormitglieder und um 9.00 Uhr ging der Gottesdienst los, der durch den Bischof geleitet wurde.
Der Bischof predigte über Lukas 2, die Weihnachtsgeschichte, die auch für mich ein Muss an jedem Weihnachtsfest ist und ein Chor sang ein Weihnachtslied. Ansonsten waren die 4,5 Stunden Gottesdienst für meine Begriffe nicht wirklich weihnachtlich. Aber das ist auch nicht verwunderlich bei rund 25 Grad, ohne Kerzen und vor allem, ohne Familie. Denn was ich interessiert beobachtete, war, dass auch die Familien, die ich hier schon kennengelernt habe, nicht zusammensaßen. Die Väter saßen ganz woanders als ihre Kinder und Ehefrauen. Dabei wird Familie hier ja grundsätzlich als viel wichtiger erachtet, als in Deutschland. (Die erste Frage die mir von neuen Leuten gestellt wird ist immer, wie viele Geschwister ich hätte – mit der Antwort, eine Halbschwester, kann niemand etwas anfangen und die Menschen sind sehr verwirrt … die zweite Frage ist meistens, ob ich verheiratet sei – das sagt glaub ich schon alles zur Wichtigkeit von Familie hier.)
Einige andere Besonderheiten gab es an diesem Mittwoch doch, die den Gottesdienst von den sonstigen unterschieden. Es gab es Abendmahl! Das erste Mal erlebte ich das hier mit. Die Menschen stellten sich im Mittelgang an und nahmen sich, wenn sie an der Reihe waren, einen kleinen Plastikbecher mit Ananassaft. Dazu gab es etwas oblatenähnliches – was genau, konnte ich von meinem Platz aus, leider nicht sehen. Dank dieses Systems konnten alle Anstehenden schnell versorgt werden und die Zeremonie ging, im Vergleich zu den sonstigen Ritualen im Gottesdienst, ratz fatz. Des Weiteren zeichnete sich der Weihnachtsgottesdienst dadurch aus, dass er gleichzeitig eine Art Konfirmationsgottesdienst war. Rund 40 Menschen, unterschiedlichen Alters, kamen nach vorne, sagten etwas, und wurden anschließend vom Bischof gesegnet. Danach tanzten alle und gratulierten den Konfirmierten. Das alles fand ich an sich nicht außergewöhnlich, nur der Zeitpunkt, 25. Dezember, wunderte mich.
Um 13.30 Uhr kam die erlösende Frage von Noella „Can we go?“ Der Gottesdienst war zu Ende. Anstatt jedoch wie geplant zusammen etwas zu kochen und in eine Bar zu gehen, verabschiedete sich Noella von mir und wir gingen nach Hause. So hatte ich mir Weihnachten in Ruanda eigentlich nicht vorgestellt und ich machte mich nach einer Mittagspause auf, Jonas und Solange zu besuchen. Sie waren gerade erst vom Gottesdienst zuhause, da sie noch Freunde besucht hatten und hier und da noch ein Pläuschchen gehalten hatten. Auch als ich bei ihnen war, kamen ein paar Bekannte vorbei und wir unterhielten uns ein wenig. Gegen sechs aßen wir ein für mich nicht sehr weihnachtliches, aber trotzdem leckeres Essen: Erbsen und Möhren, die hier deutlich frischer sind, als die eingeweckte Glasvariante in Deutschland und zu einem meiner Lieblingsgerichte hier zählt. Bevor ein, sich bereits ankündigendes Gewitter mal wieder das ganze Dorf unter Wasser setzen konnte, brachten mich die beiden nach Hause und ich machte es mir mit einem Videoanruf nach Düsseldorf gemütlich.
Fazit
Tags darauf war Weihnachten hier gefühlt schon wieder vergessen – wie, du singst noch Weihnachtslieder nach dem 25.12.? fragte mich Noella. Dem Fest wird hier von den Einheimischen kein großer Stellenwert zugeschrieben, obwohl der Glauben für sie eine wichtigere Rolle spielt, als für die meisten Deutschen. Ich fand es spannend zu sehen, wie sich Traditionen entwickeln und wie sehr ich doch an unseren hänge. Und wenigstens wird das Fest hier nicht „als eine Art Ramschware kulturell entwertet“, um es mit den Worten meiner Lieblingsmusiker zu sagen. Denn dem Konsumboom zur Weihnachtszeit, bin ich dieses Jahr gerne entgangen!
Trotzdem freue mich nun umso mehr aufs nächste Weihnachtsfest und werde alles doppelt so sehr genießen, wie sonst, um dieses Jahr nachzuholen 😉 Aber den härtesten Teil des Jahres habe ich jetzt hoffentlich geschafft – Weihnachten ohne Familie und Freunde und ohne Traditionen.
Ich bedanke mich auf diesem Wege nochmal für all die lieben Nachrichten, die mich erreicht haben. Sie waren ein großer Trost!
Macht es gut und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Eure Hannah in Ruanda
2 Responses
Liebe Hannah, erst heute komme ich dazu, Deinen Bericht in Ruhe zu lesen. Ich kann Deine Gefühle, die Du an Weihnachten durchlebt hast, gut verstehen. Familie so weit weg —– durch die digitale Möglichkeit aber doch nah. Wir können sprechen, uns sehen und auch an Ereignissen in der Familie ein wenig dabei sein. Du bist stark—und das gehört einfach dazu, Weihnachten auch einmal ohne Familie zu sein. Wie wird es 2020 sein —Was immer so selbstverständlich war, siehst Du mit neuen Augen und schätzt Du wie neu. Bald nun werden ja auch Mama und Deine Tanta kommen, und Ihr werdet eine gute Zeit haben. Ganz liebe Grüße Deine Erika
Moin Hannah,
ich lese alle Deine Berichte mit großem Interesse. Ich bin schon gespannt, wie wir Ruanda in diesem Sommer erleben werden. Mit Blick auf das Neue Jahr vermisse ich Dich schon jetzt in der Osterwoche. Alles Gute, ich wünsche Dir viele wertvolle Erfahrungen, Ulrik